Montessori im Kinderwald: Winter und Sommer
Ein Interview mit den Begleiterinnen Doris und Gerti.
Ruth: Es gibt ja im Kinderwald in den kalten Monaten den Indoor-Montessori Raum. Warum habt ihr den initiiert?
Gerti: Maria Montessori ist eine ganz besondere Reformpädagogin. Ihre Pädagogik ist ganz nahe am Kind, sieht das Kind in seiner Ganzheitlichkeit und greift das auf, was Kindern im hier und jetzt in ihrer Entwicklungsphase wichtig ist. Zusätzlich zur vorbereiteten Umgebung des Waldes wollten wir daher auch eine vorbereitete Umgebung des Indoorbereiches schaffen.
Ruth: Was ist denn das Besondere an dem Montessori Material?
Doris: Für Maria Montessori war ein wichtiger Satz “Hilf mir, es selbst zu tun”, das hat einmal ein Kind zu ihr gesagt. Was wir mit den Kindern indoor unter anderem machen, sind lebensnahe, lebenspraktische Sachen. Die Kinder lernen Alltagsdinge selbst zu machen, werden dabei unterstützt, möglichst bald selbstständig zu werden, damit sie nicht immer auf die Hilfe von einem Erwachsenen angewiesen sind. Bei Montessori-Material gibt es auch immer eine Selbstkontrolle, das heißt die Kinder brauchen hier auch keinen Erwachsenen der ihnen sagt, ob sie richtig oder falsch gearbeitet haben, sondern sie merken das selber und können sich dann selbst korrigieren.
Gerti: Montessori nimmt die Kinder in ihren sensiblen Phasen ganz stark wahr und bietet genau das Material an, das für sie passt. d.h. die Kinder holen sich genau das Material, das sie inspiriert und sie in ihrer sensiblen Phase anspricht. Z.B. Wenn gerade Zahlen ein sensibler, wichtiger Punkt sind, greifen sie zu dem Zahlenmaterial und vertiefen sich, kommen in einen Flow und nehmen gar nichts anderes wahr, und haben innerhalb kürzester Zeit diese Lernschritte gemacht, die sonst in einer mühseligen Arbeit später mal in der Schule passieren würden. Diese passieren hier in einer ganz entspannten, lustvollen Atmosphäre.
Ruth: Gibt es bei euch im Montessori-Raum so etwas wie “Lieblingsmaterialen” der Kinder?_
Gerti: Es gibt schon Lieblingsmaterialen, aber prinzipiell gibt es jeden Mittwoch, an unserem Montessori-Tag ein Material, das neu vorgestellt wird, das ist dann manchmal der Renner, aber Dauerrenner sind z.B. die römische Brücke, die die Kinder sehr herausfordert. Da wird mit Hölzern über einen vorkonstruierten Bogen ein Bogen gebaut und dann wird die Konstruktion unterhalb weggeschoben, wenn alles gebaut ist. Das ist dann ein großes Aha-Erlebnis für die Kinder, ob die Brücke steht, oder nicht. Das ist jedes Mal etwas ganz Bezauberndes, Besonderes.
Doris: Auch das Lesekrokodil verwenden sehr viele Kinder. Mit 4 Jahren beginnt ja in etwa die sensible Phase für Symbole, da ist oft zuerst das Schreiben und dann das Lesen lernen aktuell. Beim Lesekrokodil ziehen die Kinder einen Zettel mit Buchstaben heraus, es kommt immer ein Buchstabe dazu, und hinten ist dann die Selbstkontrolle, da steht z.B. Wiese und hinten ist dann eine Wiese aufgezeichnet. Wir verwenden hier viele “waldische” Begriffe.
Gerti: Aber auch die einfachen Materialen wie Löffeln und Schütten von einem Gefäß in ein anderes haben immer wieder einen Reiz. Das bietet man so an, dass zuerst mit großen Schüttgegenständen wie Kastanien, bis später zu ganz feinen wie Linsen und Wasser gearbeitet wird. Das passiert immer bewusst von links nach rechts, weil das auch die Schreibrichtung in unserer Kultur ist.
Doris: Was auch spannend ist für die Kinder, ist mit der Pipette zu arbeiten. Dabei gibt es z.B. in einer Klarsichthülle Figuren, Formen, Zahlen oder Buchstaben mit Punkten und dann nimmt man die Pipette und macht genau dort einen Tropfen Wasser auf die Punkte. Am Schluss wird es dann wieder weggewischt. Das ist auch ein wichtiger Aspekt bei der Montessori Arbeit, dass die Kinder den Platz wieder so verlassen, wie sie ihn vorgefunden haben, damit das nächste Kind sich wieder orientieren und starten kann.
Gerti: Bei Montessori hat jedes Kind einen Arbeitsbereich, einen Teppich. Jedes Kind holt sich einen Teppich und ein Material und räumt das Material auch wieder dorthin zurück, wo es war. Es gibt aber auch Materialien bei uns im Kinderwald, an denen mehrere Kinder gleichzeitig arbeiten, z.B. das Hunderterbrett, Gummiringerlspannen oder die römische Brücke. Dort begleiten auch oft die Kinder, die es schon können, die neuen Kinder.
Ruth: Was ist eure Rolle als Begleiterinnen?
Gerti: Wir Beleiterinnen sind eher im Hintergrund. Wir bieten Material an und bereiten die Umgebung vor und geben Hilfe zur Selbsthilfe. Sonst halten wir uns so viel es geht zurück bzw. animieren auch die Kinder, dass sie sich gegenseitig unterstützen, denn das ist für beide Seiten bereichernd.
Doris: Ein Material, das gerade auch sehr spannend für die Kinder ist, ist das Prickeln. Dabei haben wir für jedes Kind einen Zettel mit dem jeweiligen Namen in Großbuchstaben vorbereitet, darauf sind Punkte wo die Kinder dann alle Löcher prickeln, und dann den Namen nachnähen.
Gerti: Das Ziel das man in diesem Fall erreicht ist die Feinmotorik, eine Schreibmotorik. Dieses ganz gezielte Arbeiten an einem Punkt erfordert höchste Konzentration, Feingefühl, Feinmotorik und Ausdauer. Die Kinder haben einen enormen Spaß und Motivation dabei, weil es einfach so lustvoll ist, das was entsteht zu sehen, spüren. Die Ziele, die wir verfolgen sind prinzipiell ganz individuell darauf abgestimmt, wo die Kinder gerade in ihrer Entwicklung sind. Eine Zeitlang gab es ein großes Interesse an Zahlen - das Zählen, und später das herausfordernde Addieren und Subtrahieren. Wir haben eine Additionsschachtel gestaltet: eine Zündholzschachtel, wo in der Mitte nicht ganz durchgehend ein Steg ist mit 5 Kugeln darin. Die Schachtel kann dann zugemacht und geschüttelt werden, und wenn man sie aufmacht sind dann z.B. 3 Kugeln auf der einen und 2 auf der anderen Seite oder andere Kombinationen. Immer wieder aber ergibt es 5. Die Kinder haben dann Addition und Subtraktion mit Kärtchen nachgelegt. Dieses Material ist dann für Kinder, die schon wissen, dass es ein “dazu” und ein “weg” gibt eine lustvolle Möglichkeit die Addition und Subtraktion nachzuvollziehen.
Ruth: Für welches Alter ist das Montessori-Material?
Gerti: Im Moment haben wir eher nur die älteren Kinder mitgenommen, aber grundsätzlich ist es für alle gedacht, nach und nach haben wir auch jüngere Kinder mitgenommen die interessiert sind. Bis Ende April waren wir an unserem Montessori-Tag indoor, ab Mai wieder outdoor. Dort werden dann auch die jüngeren Kinder von unseren Experten, den älteren Kindern, gemeinsam mit uns begleitet, um die Outdoor-Materialen, und auch die robusteren Indoor-Materialen, einzuführen.
Doris: Das ist auch einer der Gründe warum wir in den nasseren Monaten einen Raum gemietet haben, weil Materialen dabei sind, die draußen kaputt oder verloren gehen können.
Gerti: Abschließend kann man sagen, dass Montessori-Pädagogik eine ganz feine Ergänzung zur Natur-und Waldpädagogik ist, rundet alles ab und fokussiert nochmal in einer anderen, intensiven Form als Bereicherung.
Ruth: Vielen Dank für das Interview!