Urspiel & Bewegung im Wald
Endlich haben wir einen Begriff für die Form von Spiel gefunden, die unsere Kinder praktizieren, wenn sie selbstbestimmt in und mit Wald und Natur spielen. Der Naturpädagoge R. Hettich nennt das “URSPIEL”.
Er meint damit das Spielen mit unbearbeitetem Naturmaterial wie Ästen, Blättern, Früchten, Moos, Steinen Wurzeln, Wasser, Erde, Tieren, Elementen, Landschaftsstrukturen, Jahreszeiten und Rhythmen. Es ist das Spielen in und mit der Natur. Eine Form von Spiel, die in geschlossenen Räumen und mit vorgefertigten, leblosen - überspitzt gesagt - Plastikspielmaterialien nicht möglich wäre bzw. nicht entstehen würde.
Hettich betont, es gehe beim Urspiel nicht um ein “zurück zur Natur”, um Naturpoesie und Romantik. Für Kinder sei das Urspiel der wichtigste elementare Zugang zur Natur in ihrem ganzen Leben und die Grundlage für den Aufbau eines Naturgewissens. Das Urspiel bringe Begegnung aus erster Hand, Begegnung mit dem Eigentlichen, dem Original und nicht mit dem Abbild, das nur irgendwie vermittelt wird. Bereits das selbstverständliche Erfühlen der verschiedenen Qualitäten und Informationen von Naturmaterial im Spiel und dann noch das Potenzial an Verwendungsmöglichkeiten, die diese “Naturdinge/-plätze…” im erfüllenden Spiel in sich tragen, spricht für sich…
In dieser Form von Spiel ist so Vieles der Gestaltungsfreiheit der Kinder überlassen. Es gibt keine Vorgaben von Erwachsenen oder von SpielzeugherstellerInnen. Somit gibt es per se auch keinen Wettbewerb - denn Wettbewerb ist eine Dimension des Spiels Erwachsener, aber an sich nicht des Spiels von Kindern. Es gibt keinen Rucksack an erwarteten Ergebnissen, keine Bewertung durch Erwachsene und somit auch keine SiegerInnen und VerliererInnen, wie das ansonsten bei vielen Spielen der Fall ist. Jede Spielsituation kann durch jedes Kind in Bezug auf die Handlung und sozialen Zusammenhänge jederzeit weitergestaltet werden. Wer in eine unangenehme “Randposition” kommt, kann anhand der eigenen Phantasie der Spielsituation neue Impulse geben und das gesamte Spiel verändern.
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Burnout-Themen Erwachsener erhält diese Form von Spiel eine immense gesundheitsfördernde Bedeutung (im Sinne der Salutogenese): Kinder erleben im phantasiedominierten Naturspiel, dass sie stets unzählige Möglichkeiten selbst in der Hand haben, die Spielsituation weiterzugestalten und zu verändern. Weil nichts wirklich fix so ist und bleiben muss, wie es scheint. Kein Stock muss ein “Besen” bleiben, sondern kann einfach zum Zauberstab, Sonnenstrahl… umdefiniert werden. Aus dem bodenkehrenden Vater wird eine zaubernde Mutter oder ein alle wärmender Sonnenstrahl … … Das Kind erlebt: “Ich habe es selbst in der Hand!!! Ich bin flexibel. Ich bin nicht festgelegt auf die Verwendung eines Spielmaterials laut Spielanleitung. Ich kann mir Naturgegenstände suchen, die mir wahre Schätze sind, die mich inspirieren und mich stärken.”
Wer drüber nachdenkt, bemerkt, dass in dieser Form von Spiel viele Analogien zu Therapie- und Coachingsituationen stecken. Bloß, dass die Kinder sie nicht erst mithilfe von TherapeutInnen entdecken müssen, weil sie sie im KinderWald in unserer wertschätzenden, non-direktiven Pädagogik tagein- tagaus einfach leben. Unbewusst, das stimmt. Aber prägt nicht unser Unbewusstes einen großen Teil unseres Fühlens, Denkens und Handelns?
Und mehr noch: Hettich betont, die BEWEGUNG des Kindes in der Natur “fördert die Entwicklung und Reifung seines Gehirns mit all seinen Aufgaben. Die Bewegung in der Natur löst innere und äußere Verkrampfungen und Spannungen, öffnet und bereichert das Innenleben des Kindes, seine Gefühle, Stimmungen und Sprache und zeigt den Kindern körperliche und seelische Grenzen auf. Bewegung in der Natur ERDET die Kinder und ist für eine gesunde psychische und physische Entwicklung lebensnotwendig.”
Da schließen wir uns vom KinderWald vollinhaltlich an :-) und empfehlen: R. Hettich, Umweltpädagoge, NaturSpielRaumPlaner, Spieltherapeut, in: Spielplätze für Kinderseelen. Die Bedeutung des Urspiels für die Entwicklung des Kindes, 2011, Verlag Rudolf Rettich